OT: »Bränt barn« (1948)
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Nachwort von Aris Fioretos
299 Seiten, € 25 [D] | € 25,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-45-2
Bengt, ein junger Mann aus dem Arbeiterviertel Stockholms, der gerade an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht, gerät durch den unerwarteten Tod seiner Mutter aus dem Gleichgewicht. Sein Vater Knut hat eine neue Frau kennengelernt, Gun, die im Stadtteilkino Eintrittskarten verkauft. Bengt weigert sich jedoch zu akzeptieren, dass sein Vater eine neue Person in ihren geschützten Alltag einlässt, dass das Leben auch ohne seine Mutter weitergeht. Mit lodernder Eifersucht steigert er sich in die radikale Verurteilung seines Vaters und in die fieberhafte Ablehnung der neuen Frau hinein – und immer deutlicher wird, wie stark er selbst sich zu ihr hingezogen fühlt.
In einer intensiven psychologischen Innenschau, die Bengts adoleszente Abgründe sichtbar macht und einem beim Lesen den Atem verschlägt, lässt Stig Dagerman uns teilhaben an den Obsessionen seines Helden, an dessen Verweigerung und unbändiger Wut auf die ganze Welt. Der Feinsinn, mit dem Dagerman seine Figur bis in die verstecktesten Winkel ausleuchtet, zeigt sich auch in der Sprache, die vibriert vor Spannung, schillert zwischen niederdrückender Dunkelheit und hell aufleuchtender Sehnsucht nach Befreiung, zwischen sanftem, fast weinerlichem Selbstmitleid und zerstörerischer, rücksichtsloser Brutalität. Paul Berf navigiert uns Lesende mit seiner beeindruckend standfesten Übersetzung durch die inneren Erschütterungen und Kämpfe des Protagonisten Bengt – Stig Dagerman hat eine unvergessliche, aufwühlende Figur geschaffen, die im Roman keine Versöhnung erfährt und auch nach beendeter Lektüre noch lange keine Ruhe gibt.
»Ein wuchtiges Buch voller Sehnsucht und Trauer. (…) Mal expressiv auffahrend, dann wieder karg und zurückgenommen ist die Sprache, in der Stig Dagerman seinen jungen Protagonisten an der Falschheit, der Verlogenheit und der Sinnlosigkeit seines Lebens verzweifeln lässt. (…) Ein literarisches Zeugnis seiner Epoche, aber in seiner Wucht und dem dahinter spürbaren Schmerz auch eine ungewöhnlich intensive Lektüre.«
Christoph Schröder, Deutschlandfunk Büchermarkt
»Es lässt sich in diesem schrecklichen, bezaubernden, rätselhaften Buch viel über das Leiden und die Leidensbereitschaft finden (…) Was ist das für ein Stil? Dagerman schreibt parataktisch: eine Feststellung nach der anderen, kaum Nebensätze, fast keine Einschübe. Alles scheint unverrückbar. Sein Ton ist hart, unerbittlich, er verwendet kaum Bilder, und wenn, sind sie fast banal. Er beschreibt, was ist und wie etwas ist, und man erkennt die Situation sofort. Vielleicht hat er bei Schopenhauer gelernt: Gebrauche gewöhnliche Wörter, um Ungewöhnliches zu sagen.«
Peter Urban-Halle, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»›Gebranntes Kind‹ ist eine brillante psychologische Studie. Denn Stig Dagerman findet immer wieder eindrückliche Bilder für Bengts widersprüchliche Emotionen. (…) Auch mehr als 75 Jahre nachdem es im schwedischen Original erschienen ist, ist die Lektüre dieses Seelenprotokolls eindringlich und erschütternd.«
Tino Dallmann, SWR2 Kultur
»Die Prosa des früh verstorbenen schwedischen Schriftstellers Stig Dagerman war schon immer von außerordentlicher suggestiver Kraft. In glasklaren, zumeist kurzen Sätzen, deren Aussage mehrfach wiederholt wird, verdeutlicht er sowohl das Ringen seiner Figuren um eine Sprache, die ihre Gefühle annähernd auszudrücken imstande ist, als auch das Kreisen der Gedanken um einen Konflikt, der mit Hochdruck auf eine Lösung drängt.«
Peter Zimmermann, Ö1 Ex libris
»Ein Kammerspiel im Arbeitermilieu. Prägnanter als Aris Fioretos in seinem Nachwort zu Stig Dagermans 1948 in Stockholm ersterschienenem Roman ›Gebranntes Kind‹ lässt sich dessen Essenz kaum ausdrücken. (…) Eine existenzialistische Etüde ist dies, aufgeladen mit dem nach 1945 hektisch entdeckten Franz Kafka.«
Alexander Kluy, Buchkultur
»Kunstvoll verstand Stig Dagerman es seinerzeit, die emotionale Zerrissenheit seines Protagonisten bis hin zu seinem widerwillig zugelassenen Eingeständnis, Gun für sich zu beanspruchen, in Bildern von bisweilen schmerzhafter Direktheit zu bannen. Das zu lesen, hat nichts von der Dringlichkeit der Gefühle eingebüßt, die Bengt zu durchleiden hat.«
Peter Henning, SR2 KulturRadio
»Stig Dagermans karge Prosa navigiert stets entlang des Horizonts seiner Protagonisten durch die Geschichte, sie wird nie erklärend und psychologisierend, sie verlässt nie den begrenzten Erfahrungsraum der Figuren und kommt so der inneren Aufgewühltheit, den Obsessionen und Verletzungen so nahe, wie es mit den Mitteln der Literatur nur möglich ist.«
Ö1 Buch des Monats