OT: Tysk höst (1947)
Aus dem Schwedischen, mit einer Briefauswahl und einem Nachwort von Paul Berf
190 Seiten, € 22 [D] | € 22,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-31-5
Stig Dagerman (1923–1954) wurde 1946 von der schwedischen Zeitung »Expressen« beauftragt, Deutschland zu bereisen und ein Bild des zerstörten Landes nach dem Weltkrieg zu geben. Ein Reisebericht in 13 Stationen über Berlin, Hamburg, das Ruhrgebiet, Frankfurt, Heidelberg und München, aber auch über die dazwischenliegenden ländlichen Regionen, über Zugfahrten, Politikerauftritte und Gerichtsprozesse entstand in diesem regnerischen Herbst 1946, der geprägt ist von Ruinen und Hunger, unterdrückter Kontinuität nationalsozialistischen Denkens und dem erhofften Aufbruch durch die alliierte Demokratisierung. Stig Dagerman begegnet den Menschen auf seiner Reise nie mit moralischer Überlegenheit – sondern mit Interesse und Mitgefühl, im Versuch, die gesellschaftliche wie persönliche Situation jedes Einzelnen zu verstehen.
In jenem Herbst erlebt Stig Dagerman mit seinem zweiten Roman in Schweden gerade den Durchbruch: Seine Frau schickt ihm die begeisterten Rezensionen, und er schämt sich im Angesicht der Zerstörung und des Leidens für den Erfolg. Paul Berf hat die Reiseberichte nicht nur in ihrer ganzen Beschreibungsdichte und Gedankenvielfalt in ein schwingendes, unverstelltes Deutsch übersetzt, sondern auch ergänzend eine Auswahl aus den Briefen getroffen, die Dagerman – teilweise auf Deutsch verfasst – von der Reise an seine Angehörigen in die Heimat schickte. Der Bericht des schwedischen Ausländers über das Deutschland der Stunde Null, dessen äußere Konflikte und innere Spannungen gibt uns einen einzigartigen Einblick in eine Zeit, in der nicht ausgemacht war, ob dieses Land jemals wieder auf die Beine kommen würde.
»Dagerman war erst 23 Jahre alt, als er wochenlang das Land bereiste und Eindrücke für seine Texte sammelte, die bis heute einen großen Eindruck machen (…) Dagermans Blick ist glasklar. (…) Er beleuchtet nicht nur die Situation in den Großstädten und auf dem Land, sondern er reflektiert überdies all das, was er in Zügen, bei Politikerreden und in Gerichtsprozessen erlebt hat.«
Hans Kratzer, Süddeutsche Zeitung
»Es gelingt Dagerman, auf dem schmalen Grat zwischen distanzierter Wahrnehmung und menschlicher Anteilnahme zu balancieren. Dass er ein Autor von Gnaden ist, bewahrt ihn zum einen vor Floskelhaftigkeit, zum anderen davor, angesichts ungeheuerlicher Eindrücke sprachlich zu kapitulieren. (…) Die Reportagen stachen damals schon aus den vielen Versuchen heraus, die Katastrophe, die Deutschland über die Welt und das eigene Land gebracht hatte, zu fassen. Die darin gezeichneten Bilder sind mindestens so eindrücklich wie jene in Roberto Rossellinis Film ›Deutschland im Jahre Null‹, der kein Jahr später in der Trümmerstadt Berlin gedreht wurde.«
Ulrich Rüdenauer, ZeitOnline
»Dagermans differenzierter Sicht liegt ein klarer moralischer Kompass zugrunde – und empirische Erkenntnis: Verwandte seiner Frau waren jahrelang in Ravensbrück inhaftiert, weshalb er die Deutschen nicht als ›fest zusammengeschweißten Block‹ betrachtet, der ›nationalsozialistische Kälte‹ ausstrahlt, sondern ›als eine Vielfalt hungernder und frierender Individuen‹. (…) Dagermans Buch, das scharfe Beobachtung und klare Analyse vereint, wird in Schweden bis heute gelesen. Es fügt jetzt auch dem, was wir über die Nachkriegszeit wissen, Bilder von enormer Tiefenschärfe hinzu.«
Renatus Deckert, Der Tagesspiegel
»Dagerman ist das ungeschliffene Juwel der schwedischen Literatur. (…) In seinen neu aufgelegten Reportagen schildert Dagerman Menschen, die in elenden Ruinen hausen, ohne mehr zu haben als die Kleider am Körper und etwas Brot oder Kartoffeln. Er berichtet von langen Zugfahrten in völlig überfüllten, undichten Waggons, die äußerste Geduld abfordern und in der jemand, der einen Apfel mit dabeihat, zur Sensation wird. Er erzählt die tragische Geschichte von einer Frau, die mit aller Mühsal der Welt auf dem Land vier Säcke Kartoffeln zusammengebettelt hat, mit diesen vier Säcken aber in keinen Zug kommt, um sie nach Hause in die Stadt zu bringen.«
Beat Mazenauer, literaturkritik.de
»Die Neuausgabe im Guggolz Verlag ist eine lohnende Wiederentdeckung, gerade weil die Deutschen ungern auf die Zeit unmittelbar nach dem Krieg schauen. (…) Es herrscht ein Mangel an Freude im Nachkriegsdeutschland, hält Dagerman sachlich fest, aber kein Mangel an Vergnügungen. Seine Berichte aus diesem Nachkriegsdeutschland, die nun mit einer Reihe von Briefen und einem Nachwort wieder bei uns erscheinen, sind nicht nur eine aufschlussreiche und packende Lektüre, sie sind ein Zeitdokument ersten Ranges.«
Tino Dallmann, SWR Lesenswert
»Nach Lektüre von Dagermans ›Deutschen Herbst‹ bleibt es zumindest fragwürdig, ob die Behauptung, es hätte eine Stunde Null gegeben, überhaupt zutreffend ist. (…) Die von Dagerman stark und einfühlsam porträtierten ›Gespenster‹ in den Ruinen waren jedenfalls einzig und allein mit dem Überleben beschäftigt. Das ist die beeindruckende Essenz seiner Reportagen aus dem regenerischen Deutschen Herbst des Jahres 1946.«
Sven Ahnert, Ex libris, Ö1
»Im Herbst 1946 schickt eine schwedische Zeitung den jungen Schriftsteller Stig Dagerman nach Deutschland. Er sieht zerstörte Städte, trifft Menschen, die in Kellern hausen, und behält in seinen Reportagen immer den Einzelnen im Blick. (…) Das Großartige an seinen Texten ist nun, dass er den Elenden und Besiegten nicht die Schmach antut, sie zu bemitleiden, sondern schlicht sagt, wie es ist, wodurch die Wirkung noch größer wird. Und er bewahrt den ›Respekt vor der Persönlichkeit‹, vor dem einzelnen Menschen und seinem Leiden, ›ganz gleich, ob dieses Leiden nun unverschuldet oder selbst verschuldet ist‹.«
Peter Urban-Halle, Deutschlandfunk
»Die damals europaweit viel beachteten Texte gibt es jetzt in einer nuancierten Übersetzung von Paul Berf wieder auf Deutsch. Pointiert, abwechslungsreich und mit einem scharfen Blick für Details geschrieben sind sie ein wichtiges, empathisches Dokument deutscher Zeitgeschichte. (…) Ohne Vorbehalte und vorgefasste Meinungen lässt Dagerman sich auf das Elend und die Verbitterung der Menschen ein. Weder verurteilt er die Deutschen, noch stellt er sie als Opfer dar. Vielmehr übt er sich in der ›Fähigkeit, auf das Leiden zu reagieren, ganz gleich, ob dieses Leiden nun unverschuldet oder selbst verschuldet ist‹. (…) Zeit für eine Neuentdeckung.«
Sophie Wennerscheid, Süddeutsche Zeitung
»Mit rhetorisch überwältigender Beobachtungsgabe notierte Dagerman, was er sah. (…) Dem jungen, sensiblen Dagerman gelangen außerordentlich geschliffene Formulierungen von exquisiter Momenthaftigkeit, etwa dass der größte Gegner der ›ideologischen Wiederaufbauarbeit im heutigen Deutschland‹ nicht die Reaktionären seien, sondern die ›indifferenten Massen, die mit ihrer politischen Überzeugung bis nach dem Essen warten.‹«
Alexander Kluy, Buchkultur
»Von der ersten Seite an ist zu spüren, dass man es hier nicht nur mit einem Journalisten, sondern mit einem Schriftsteller zu tun hat. Stig Dagermans Sprache ist facetten- und vokabelreich, hat Eleganz, atmosphärische Kraft und Anschaulichkeit. […] ›Deutscher Herbst‹ ist ein Dokument, das die pauschale Erzählung vom deutschen Neuanfang nach 1945 auf imposante Weise ausdifferenziert.«
Christoph Schröder, Deutschlandfunk Büchermarkt