OT: En flyktning krysser sitt spor (1933/1955)
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Nachworte von Gabriele Haefs und Espen Haavardsholm
608 Seiten, € 28 [D] | € 28,80 [A]
Gebunden mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-22-3
Aksel Sandemose (1899–1965) hat sich mit »Ein Flüchtling kreuzt seine Spur« fest in die Literaturgeschichte Skandinaviens eingeschrieben; »Jantes Gesetz«, das bis heute für die skandinavische Mentalität steht, als Mahnung für die gesellschaftliche Gleichheit und gegen die Selbstüberschätzung, stammt daraus. Es ist ein Entwicklungsroman über Sandemoses Alter Ego Espen Arnakke, doch auch gleichzeitig ein großer Gesellschaftsroman über das ländliche Skandinavien. Aksel Sandemose lässt seinen Protagonisten erzählen, wie er vermeintlich zum Mörder wurde. Er geht ins Detail, holt psychologisch in früheste Kindheit aus, und entwirft mit einer Fülle an Beobachtungen, Reflexionen und Anekdoten aus dem fiktiven Ort Jante ein Panorama von kleingeistiger, beklemmender Gemeinschaft an der Schwelle ins 20. Jahrhundert.
Aksel Sandemose steckte all seine Wut, seine Verzweiflung über andere und sich selbst und seinen unbändigen Freiheitsdrang in diesen Roman. Er spottet, beleidigt, empört sich, deutet, verurteilt – gnadenlos mit sich und anderen, aber auch erstaunlich klar auf den Grund der Dinge dringend. Gabriele Haefs findet in ihrer Übersetzung einen Ton, der das Geschehen jederzeit im Griff hat. Sie lotet die Ambivalenzen der zwischen Selbsterhöhung und Scham schwankenden Sprache des Adoleszenten aus, die psychologischen Abgründe und auch den kommentierenden Schriftsteller Sandemose, der sich in der überarbeiteten Fassung des Romans 1955 zu Wort meldet. Sie bringt ein großes Werk ans Licht, das irritiert, amüsiert und bewegt – und einen Einblick in eine gequälte Seele ermöglicht, wie nur Literatur es vermag.
»Eine dissonante, brüchige Sinfonie über das System des Janteismus in der Kleinstadt mit ihrer idyllischen Lage am Meer, ihrer Fabrik, ihren arbeitssamen Bewohnern und dem Märchenland unter den Wacholderbüschen. (…) Sandemose wäre nicht der fulminante Ankläger und Verteidiger in eigener Sache, der Diagnostiker und Sezierer konservativ provinzieller Verhältnisse, hätte er nicht mit seinem Buch, das keine Gattungsbezeichnung trägt, die Konventionen des Romans weit hinter sich gelassen. (…) Die assoziative Technik macht das Lesen zu einem so wilden wie anstrengenden Vergnügen. Der urwüchsige Nichtroman gleicht einem Befreiungsakt, bei dem den Lesern die gesprengten Fesseln um die Ohren sausen. Wenn die Lektüre wehtut, dann vor allem wegen ihrer Hellsichtigkeit.«
Dorothea Dieckmann, Deutschlandfunk Büchermarkt
»Ginge es mit rechten Dingen zu, dann stünde dieser Roman in einer Reihe mit anderen Romanen der Weltliteratur im 20. Jahrhundert. (…) ›Ein Flüchtling kreuzt seine Spur‹ ist auch und vor allem der Roman über die Kleinstadt, und was sie mit einem macht; über den Kleingeist, der keine Abweichung duldet; über den eigenen Kleinmut, der jedes Aufbegehren verhindert; über ein Klima der Angst und der Scham, das alle und jeden möglichst klein hält. (…) Man spürt nach wie vor, auch dank der Übersetzung von Gabriele Haefs, welche eminente Wucht das Buch auf mehrere Generationen junger Männer und angehender Schriftsteller ausgeübt hat.«
Thomas Fechner-Smarsly, WDR3
»Auf 600 eng beschriebenen Seiten schildert Sandemose seine Kindheit in der konservativen Kleinstadt Jante. (…) Arnakke legt wie ein Therapeut die traumatische Vergangenheit frei, um sich ›Klarheit über mich selbst und den Menschen überhaupt zu verschaffen‹. Natürlich ist das nicht verlässlich, aber die Überschneidungen der Lebensläufe von Sandemose und seinem Alter Ego haben zur Legendenbildung rund um diese Erzählung beigetragen. Vergleichbar ist diese Offenbarung am ehesten mit Joyce ›Ulysses‹, nur dass sie – auch dank der wunderbaren Übersetzung von Gabriele Haefs – viel lesbarer ist. Dieser Roman ist ein einschneidendes Erlebnis und ohne Zweifel eine der literarischen Entdeckungen des Jahres.«
Thomas Hummitzsch, Galore
»Jeder, der sich für das Skandinavien abseits des Hygge- und Lagom-Marketings interessiert, kennt einen Schnipsel dieses Autors, das ›Janteloven‹, das ungeschriebene Grundregeln des Zusammenlebens in nordischen Kleinstädten beschreibt. Aber die wenigsten kennen den beißend bösen Roman, in dem sie aufs Papier gebracht wurden, diese ungehemmte Abrechnung Aksel Sandemoses mit dem kleinbürgerlichen Milieu eines Ortes, in dem jeder jeden beobachtet, jeder jeden zügelt und nichts suspekter ist als ein Intellektueller. (…) Ein Sturm von einem Buch. (…) Von diesem Roman führt eine Linie zur schonungslosen Selbstanalyse von Karl Ove Knausgård. Wie der ›Flüchtling‹ im Norden überhaupt als literarischer Meilenstein gilt.«
Matthias Hannemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Es ist dieses unwiderstehliche Amalgam aus Selbsterniedrigung und Selbstüberhöhung, das den epischen Monolog Aksel Sandemoses unvergesslich macht. (…) Der kleine und äußerst verdienstvolle Guggolz-Verlag, Retter ost- und nordeuropäischer Klassiker, hat nun endlich, endlich getan, was getan werden musste, und hat diesen gewaltigen Schatz geborgen. Dunkel funkelt er uns an.«
Klaus Ungerer, Der Freitag