OT: »Hærværk« (1930)
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Nachwort von Sebastian Guggolz
655 Seiten, € 28 [D] | € 28,80 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-43-8
Tom Kristensen (1893–1974) schuf mit seinem bis heute bedrohlich funkelnden »Absturz« eine skandinavische Antwort auf die modernen Monumentalromane der 1920er Jahre, von Proust über Joyce und Céline bis zu Musil. Ole Jastrau, ehemals aufstrebender Lyriker, inzwischen Literaturkritiker bei einer liberalen Kopenhagener Tageszeitung, gerät vor unseren Augen aus dem Tritt. Es ist der Nihilismus seiner Zeit, der an ihm nagt, aber noch viel mehr ist es sein maßloser Alkoholkonsum, der ihn in einem unaufhaltsamen Abwärtsstrudel in die Tiefe zieht. Seine Ehe mit Johanne und sein geliebter Sohn Oluf, seine Anstellung bei der Zeitung und seine bürgerliche Stadtwohnung: Nichts hält dem Absturz stand, alles wird für den Rausch aufs Spiel gesetzt.
Bei Erscheinen sah sich »Absturz« wütenden Attacken ausgesetzt. Eine »nahezu unerträgliche Schmähschrift« sei es, in der eine »Orgie arroganter Selbsterniedrigung« geschildert werde – gleichzeitig wurde er von Autorenkollegen und der jüngeren Generation gefeiert. Als Schlüsselroman an Kristensens eigenem Leben entlang geschrieben, entwickelt die schnelle, drastische, hellwache Erzählung, die »wahrhaftig ist, ohne wahrheitsgetreu zu sein« (Tom Kristensen), einen ungeheuren Sog. Ulrich Sonnenberg findet in seiner Übersetzung eine bestechend klare Sprache, die durch Alkoholdunst und Zigarrennebel der Hotelbars und Trinkerkneipen Kopenhagens schneidet und mit bitterem Witz den Blick freilegt auf einen Roman, der sowohl ein hellsichtiges Porträt der dekadenten Kopenhagener Gesellschaft als auch eine universelle Studie menschlicher Abhängigkeit und Selbstzerstörung bietet.
»Der Kopenhagener Literaturkritiker Ole Jastrau, 34 Jahre alt und ehemals ein Dichter mit Ambitionen, hadert Ende der 1920er-Jahre mit seiner Existenz und ist es leid, in seiner Zeitung ›Dagbladet‹ immer Meinungen und Werturteile abliefern zu müssen. (…) Und so beschließt er, systematisch ›vor die Hunde zu gehen‹. Dafür nimmt er sich Zeit. Schluck für Schluck auf mehr als 600 Seiten. Diese sind längst Teil des dänischen Literaturkanons. (…) Der innere Monolog treibt die Handlung dieses epischen, kraftvollen Romans in klarer, einfacher Sprache voran. Das Ende bleibt auf rätselhafte Weise offen.«
Philipp Haibach, Der Tagesspiegel
»Auf 622 Seiten erzählt Tom Kristensen vom vorsätzlichen Absturz seines Helden. Er folgt ihm mal in gedrosseltem Tempo, dann wieder hastend durch alle Aggregatszustände seiner Trinkerexistenz. (…) Jeder einzelne Satz Kristensens enthält die Essenz der Ruhelosigkeit der menschlichen Seele am Rande des Abgrunds. Rein und klar, als wäre nie ein Tropfen Alkohol im Spiel gewesen.«
Lisa Kreißler, NDR Kultur
»Dieser Roman ist die großartige Wiederentdeckung einer nordeuropäischen Milieustudie. (…) Eigentlich geht es im Roman um alle Facetten final gemeinten Saufens. (…) Man findet so schnell keinen anderen Roman, der das Funktionieren solchen Alkoholismus in einer (noch) bürgerlichen Gesellschaft derart fiktional bewältigt. Die mit einer solchen Übung verbundenen sprachlichen Anforderungen sind hoch; die Übersetzung von Ulrich Sonnenberg wird allen Sprach- und Sprechvarianten, die mit diesem Anspruch des Autors an sein Werk verbunden sind.«
Stephan Opitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Ein Monstrum, oh ja, aber ein sehr lebendiges! Denn als Alkoholiker-, Krisen- und Depressionsroman ist es alles andere als tot. Und ebenso wenig als eine verzweifelte Erzählung über all die Floskeln, Bluffs und Wichtigtuereien, die im Medienbetrieb nicht selten sind. Jastrau hat es über, ein ›festangestellter Produzent von Meinungen‹ zu sein. Das gilt für damals wie für heute. Deshalb ist es nicht übertrieben, Kristensens ›Absturz‹ als eine Art Kopenhagener Antwort auf Lowrys ›Unter dem Vulkan‹, Döblins ›Berlin Alexanderplatz‹ oder Dos Passos’ ›Manhattan Transfer‹ zu bezeichnen.«
Peter Urban-Halle, Berliner Zeitung
»Tom Kristensens Roman ›Absturz‹ ist eine wahnwitzige, rauschhafte, großartige Auflehnungserzählung. (…) Die wohltuende Unaufgeregtheit des Erzählers färbt auf den Leser ab. Derart befreit, sich selber positionieren zu müssen, schaut man auf und gibt sich dem Treiben hin. Großartig die Schilderung der Reaktionen der Figuren auf neue oder besondere Umstände, das jähe Umschlagen einer Situation, die sich häufig in einem plötzlichen Augenblinzeln zeigt. (…) Selbst aus der zeitlichen Entfernung von fast einem Jahrhundert wirkt der Roman frisch und in der Beschreibung eines auf Selbstreferentialität fixierten Kulturbetriebs wunderbar zeitgenössisch. Die Lektüre von Absturz ist sowohl Vergnügen wie auch Herausforderung. Eben große Literatur.«
Lothar Struck, glanzundelend.de
»Ein Sturzflug aus den Höhen der bürgerlichen Existenz in die Abgründe des Alkoholrausches, und das alles vor der Kulisse der politisch flirrenden 1920er Jahre: Mit ›Absturz‹ hat Tom Kristensen 1930 ein Buch veröffentlicht, das zum Kanon der dänischen Literatur gehört. (…) Kristensen schildert endlose Räusche, und das erzeugt auch beim Lesen etwas Rauschhaftes. Die Einförmigkeit des Trinkens, der zunehmende Verlust des Halts; das trotzige Pochen auf das Recht, sich selbst zu zerstören, und die wenigen klaren Momente, die von der Sucht sofort wieder kassiert werden. (…) Mit quälender Langsamkeit begleitet er einen Menschen bei seinem unaufhaltsamen Niedergang, bei seinem stolpernden Tanz mit sich selbst. Und zugleich registriert dieser Mensch, dass die Nachkriegswelt um ihn herum mindestens ebenso trunken ist und in eine neue Katastrophe taumelt.«
Ulrich Rüdenauer, WDR 3, Gutenbergs Welt
»Anfangs ist es ein Sinken, ein Sinken-Lassen im Rhythmus der Jazz-Saxofone, etwas, dem er zustimmt, wenn auch nicht ausdrücklich, sondern indem er darauf verzichtet, sich zu wehren. Jastraus Absturz ist ein Absturz ohne Grund. Den verhängnisvollen Kurs zu ändern, abzuspringen, ein Glück wiederzufinden, wie klein, eng und erstickend es auch sein mag, wäre möglich, bloß: Jastrau will nicht, er kann nicht. (…) Die Sprache spiegelt dabei immer wieder den Zustand Jastraus, das Euphorisch-Stolpernde, Sich-Überschlagende des Rauschs, seinen selbstzerstörerischen Aufbau und das mal schmerzhafte, mal poetische Abklingen. (…) Auch knapp 97 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen ist ›Absturz‹ lesenswert. Wegen der klaren Sprache und des Soges, den sie entwickelt, aber auch weil Leere und Sinnlosigkeit, Rausch und Absturz zeitlos sind.«
Steffen Herrmann, Frankfurter Rundschau
»In wenigen Romanen wird so viel Whiskey, Portwein und Absinth konsumiert wie in Tom Kristensens 1930 erschienenem ›Hærværk‹, auf Deutsch nun in einer neuen, bravourösen Übersetzung von Ulrich Sonnenberg unter dem Titel ›Absturz‹ erschienen. (…) Das macht Kristensens Roman zu einer Zumutung und zu einem literarischen Wagnis, zu einer erschreckend tiefgehenden Ergründung der Seele eines Künstlers, der sich durch die Erfordernisse eines bürgerlichen Lebens von der Kunst und sich selbst entfernt hat und immer wieder seinem fahler werdenden Spiegelbild begegnet. (…) Das Experiment besteht nicht wie bei anderen Avantgardisten des 20. Jahrhunderts darin, die Grenzen der Sprache und des Verständlichen zu sprengen – Kristensen arbeitet rhythmisch mit dem vorhandenen Material, mit Wiederholungen und Variationen bestimmter Wendungen und Bilder, manchmal folgt die Sprache dem Rausch, manchmal den rauschhaften Klängen des Jazz, aber nie wirkt das manieriert oder gewollt.«
Ulrich Rüdenauer, Badische Zeitung
»In seinem Werk ist Kristensen immer auf der Suche nach einem festen Ausgangspunkt im Dasein, und geprägt von der Angst vor der Konformität und Leere, was zu einer extremen Grenzüberschreitung führt, in seinem Werk wie in seinem Leben. (…) Die Übersetzung von Ulrich Sonnenberg ist sehr gelungen, schwungvoll und atmosphärisch. Sie gibt die nervöse, hektische, flirrende Stimmung und den Charakter der von Zweifeln geprägten Hauptfigur sehr gut wieder.«
Peter Urban-Halle, Deutschlandfunk Kultur