OT: Sunnudagskvöld til mánudagsmorguns u. a. (1951 bis 1958)
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
Nachwort von Dagný Kristjánsdóttir
221 Seiten, € 24 [D] | € 24,60 [A]
Gebunden mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-48-3

Streichhölzer

Ásta Sigurðardóttir

Ásta Sigurðardóttir (1930–1971) war eine Ausnahmeerscheinung. Schon ihre erste Erzählung 1951, »Sonntagabend bis Montagmorgen«, sorgte für Aufsehen, da sie nicht in die beschauliche isländische Gesellschaft passte. In ihrem Leben, das geprägt war von Liebschaften, Schwangerschaften und Kindern, von Unmengen an Alkohol und unbändigem Schaffensdrang, fand Ásta weder Ruhe noch Frieden. Umso erstaunlicher sind Präzision und Radikalität ihrer Geschichten sowie der sprachliche Glanz ihres Schreibens. Jede der 13 Geschichten, die sie bis zu ihrem frühen Tod verfasst hat, steht wie ein Solitär für sich, strahlt fast unheimliche Souveränität aus. Ihre Figuren zählen nicht zum klassischen Literaturrepertoire, es sind Tagediebinnen, junge Frauen, die sich nicht für ihr sexuelles Begehren schämen, verschüchterte Kinder, einsame gealterte Damen: beschädigte und überforderte Existenzen, getrieben von unstillbarer Sehnsucht.

Ásta Sigurðardóttirs Erzählungen ermöglichen einen Blick in alltägliche Abgründe, in Verhärtungen und Vergeblichkeiten sowie in die Brutalität der Verhältnisse. Ihre lauernde Bedrohlichkeit beziehen sie daraus, dass sie Allgegenwärtiges beschreiben, das üblicherweise verdrängt und in seiner Zerstörungskraft unterschätzt wird. Tina Fleckens Übersetzung gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die Unmittelbarkeit zu bewahren. Die Erzählungen überwinden sprachliche und zeitliche Distanzen spielend, haben keinerlei Kraft verloren und bohren sich so direkt in uns, wie sie es im Island der 1950er und 1960er Jahre getan haben. »Streichhölzer« ermöglicht endlich die verspätete Entdeckung einer großen isländischen Autorin.

»Der Erzählband versammelt Prosastücke, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren entstanden sind, damals in Zeitschriften veröffentlicht wurden und nun von Tina Flecken exzellent erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. (…) Die Figuren Sigurðardóttirs verlieren sich nie in Resignation, geben nie auf und gewinnen im Schmerz eine rätselhafte Souveränität. (…) Ásta Sigurðardóttir ist eine begnadete Beobachterin, die es meisterhaft versteht, das Leid ihrer Figuren würdevoll auszuloten. Keine Figur führt sie vor; jede bringt sie uns nah.«

Heike Kunert, ZeitOnline

»In der überzeugenden Übersetzung von Tina Flecken können wir nun 13 Erzählungen Ásta Sigurðardóttirs erstmals auf Deutsch kennenlernen. Und das Überraschende ist: Sie wirken noch immer frisch; ihre verzweifelt-schwankenden Figuren kommen einem trotz der zeitlichen Distanz ganz nah. (…) Die Grausamkeit wird nicht immer so offen ausgelebt, aber immer sitzt sie zwischen den Zeilen. Die sprachliche Direktheit überrascht, wenn man bedenkt, dass diese Texte vornehmlich in den 50er Jahren entstanden sind. Die Freiheit, die sich die unangepasste Ásta Sigurðardóttir nahm, war bitter erkauft. In einigen der Geschichten vermeint man ein Selbstporträt zu lesen, denn vieles – Alkoholsucht, Abtreibung, Ablehnung – hat die Autorin in ihrem kurzen Leben selbst durchgemacht und erfahren. Von der oftmals schwer erträglichen Wucht der Erzählungen sollte man sich aber nicht schrecken lassen: ›Streichhölzer‹ ist nicht nur das ungewöhnliche Zeugnis einer Zeit, sondern literarisch zeitlos.«

Ulrich Rüdenauer, WDR3

»Was die Erzählungen so einprägsam macht, ist ihr Facettenreichtum, denn die schmale Grenze zwischen eigenem Begehren und fremder Gewalt ist ebenso scharf nachgezogen wie die Unterschiede bei den Reaktionen auf übergriffiges Verhalten von Männer oder Frauen. Das führt zum überwältigenden Moment in diesen Texten. selbst wer viel liest, wird bei Sigurðardóttir immer wieder sprachlich durch Bilder und Wendungen überrascht und beschenkt. (…) So bilden die dreizehn Texte ein Panorama der isländischen Nachkriegszeit, das mit seiner Bandbreite und seiner sprachlichen Schönheit zeigt: Der Inselstaat mag weitab liegen, diese Stimme indes fügt sich nahtlos in den Chor europäischer literarischer Stimmen.«

Christiane Pöhlmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Mitte des 20. Jahrhunderts zählte Ásta Sigurðardóttir zu den größten Hoffnungen der jungen Literatur in Island und bewegte sich im Kreis der sogenannten Atomdichter, die mit der traditionellen Formensprache der isländischen Poesie gebrochen hatten. (…) Wie in ihren schwarzweißen Linolschnitten setzt Ásta Sigurðardóttir das Helle direkt neben das Dunkle. Der Band ›Streichhölzer‹ ist, nicht zuletzt dank der Übersetzung von Tina Flecken, eine überzeugende Einladung, ihr Werk auch hierzulande zu entdecken.«

Julia Schröder, Deutschlandfunk Büchermarkt

»Erstmals auf Deutsch erscheinen Erzählungen der Isländerin Ásta Sigurðardóttir – eine wahre Entdeckung! (…) Sie ist eine erbarmungslose Erzählerin, die nichts beschönigt und die Qualen ihrer Figuren mitunter bis zum kaum Erträglichen ausmalt. (…) So unverkennbar es ist, wie die Erzählungen durch Leitmotive zusammengehalten werden, so deutlich auch deren stilistische Vielfalt.«

Rainer Moritz, Deutschlandfunk Kultur

»Die herzzerreißenden Erzählungen der Asta Sigurdardottir widerspiegeln die Abwärtsspirale ihres Lebens. Ásta Sigurðardóttir galt als größtes Talent der isländischen Nachkriegsliteratur. Doch die alkoholkranke Autorin wurde nur 41 Jahre alt. Ihre exzentrischen Storys trafen die bigotte Gesellschaft der fünfziger Jahre ins Mark. (…) Allgemein prägt totaler Kontrollverlust die Texte. Sigurðardóttirs Protagonistinnen haben den Halt verloren, wissen nicht mehr, wohin. (…) Die Abgründe in der Welt Ásta Sigurðardóttirs scheinen wirklich bodenlos.«

Judith Leister, Neue Zürcher Zeitung

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Ásta Sigurðardóttir

Ásta Sigurðardóttir (1930–1971) wurde im Westen Islands geboren und wuchs ohne Elektrizität und fließendes Wasser auf. In den ersten Jahren bekam sie in der abgelegenen Gegend keine schulische Ausbildung. Ástas Vater gab seine Liebe zu Büchern und Literatur an seine Kinder weiter. Mit 14 Jahren zog Ásta nach Reykjavík, wo sie 1950 die Lehrerausbildung abschloss. Der damals ungewöhnliche Bildungsweg für ein Mädchen vom Land ging einher mit Aufsehen erregenden Auftritten: Ásta kleidete, frisierte und schminkte sich nach dem Vorbild glamouröser Filmstars. Außerdem begann sie zu trinken und wurde schwanger. Das Kind wurde von ihrer Mutter aufgezogen, damit Ásta ihre Ausbildung beenden konnte. Kurz darauf wurde sie wieder schwanger, doch der Vater des Kindes drängte sie zur Abtreibung. Ásta arbeitete als Aktmodell, mit ihrer Rebellion gegen gängige Moralvorstellungen galt sie bald als eine der ersten Bohémiennes in Island. Sie entwarf ein kunstvolles Spielkartenset, schuf Holzschnitte und Aquarellzeichnungen. In ihren Erzählungen berichtete sie von Außenseitern und Randfiguren. Ihre eigene Lebenssituation war zeitlebens prekär, 1957 heiratete sie den Dichter Þorsteinn frá Hamri, mit dem sie weitere fünf Kinder hatte. Nach der Trennung von ihm heiratete sie Baldur Guðmundsson. An den Folgen jahrelangen Alkoholkonsums starb Ásta 1971 im Alter von 41 Jahren.

Tina Flecken

Tina Flecken, geboren 1968, studierte Skandinavistik, Anglistik und Germanistik in Köln und Reykjavík. Sie übersetzt aus dem Isländischen u. a. Prosa und Lyrik von Andri Snær Magnason, Auður Ava Ólafsdóttir, Sigríður Hagalín Björnsdóttir und Sjón. 2021 wurde sie mit dem Isländischen Übersetzungspreis Orðstír ausgezeichnet.

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