OT: »Švābu Kapričo« (1951)
Aus dem Lettischen und mit einem Nachwort von Berthold Forssman
318 Seiten, € 25 [D] | € 25,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-47-6

Schwäbisches Capriccio

Anšlavs Eglītis

Anšlavs Eglītis (1906–1993) nutzte die eigene Lebensgeschichte – seine Flucht 1944 vor der Roten Armee nach Deutschland – als Vorlage für einen bitterkomischen Episodenroman. Der ausgebombte lettische Flüchtling Pēteris Drusts strandet von Berlin aus in dem kleinen Städtchen Pfifferlingen auf der Schwäbischen Alb, einer vermeintlichen Durchgangsstation auf dem Weg in die Schweiz. Der Zweite Weltkrieg wütet noch, doch die Pfifferlinger gehen fernab von den Gefechten an der Front und den Bombardierungen der Metropolen ungerührt ihren Alltagsgeschäften nach. In dieser hinterwäldlerischen Provinz eckt der Rigaer Pēteris Drusts mit seinen großstädtischen Manieren an: Einerseits ist er auf die Güte der einheimischen Bevölkerung angewiesen, etwa für ein Dach über dem Kopf und ein warmes Essen – andererseits sind ihm die Pfifferlinger intellektuell und kulturell meilenweit unterlegen. Doch er darf ihre Bauernschläue nicht unterschätzen.

Die Episoden sind wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Einige berichten von Drusts kuriosen Begegnungen und Verwicklungen mit den alt eingesessenen kauzigen Kleinstädtern, andere erzählen schildbürgerartige Begebenheiten der Stadtgeschichte. Berthold Forssman trifft in seiner scharf ausbalancierten Übersetzung genau die zugespitzte Komik von Anšlavs Eglītis, die aus dem Aufeinandertreffen der existenziellen Lebenssituation eines Geflüchteten mit der Behäbigkeit und Begriffsstutzigkeit der Einheimischen entsteht. Der doppelbödige Humor ist von Schmerz gezeichnet – nur mit befreiendem Gelächter ist die grausame Absurdität des Lebens zu ertragen.

»Der Geiz der Schwaben spielt mehrfach eine grausig-groteske Rolle. Und außerdem trinken sie hier ein saures Getränk namens Most, das der lettischen Kulturbürger Drusts nicht müde wird, in seiner ganzen Absurdität auszukosten. (…) Der Stil des Buches hat etwas Heimtückisches. Die Schwaben strahlen bei aller Komik auch etwas Abgründiges aus.«

Helmut Böttiger, taz

»Am stärksten ist ›Schwäbisches Capriccio‹ dort, wo tiefe Traurigkeit und absurder Witz eine untrennbare Verbindung eingehen. (…) Da paaren sich auf unvergessliche Weise hellsichtige Traurigkeit und intelligenter Witz und zeugen ein fiktiv angereichertes und regional verankertes Zeitpanorama, dessen Erkenntniswert ein wichtiges Licht auf deutsche Alltagsgeschichte in Kriegs- und Nachkriegszeiten wirft.«

Cornelius Hell, Ö1 – Ex libris

»Endstation Pfifferlingen: Ein burlesk-bitterer Roman (…). Die Schwaben kommen in diesem Buch nicht gut weg. Die große Niederlage Deutschlands spiegelt sich im Kleinen, in der Bedeutungshuberei, der Habgier und Hoffart der Pfifferlingerinnen und Pfifferlinger wider.«

Judith Leister, Neue Zürcher Zeitung

»Es ist ein merkwürdiges, ein ziemlich skurriles Buch, das der lettische Schriftsteller Anšlavs Eglītis unter dem Titel ›Schwäbisches Capriccio‹ geschrieben hat und das 1951 in den USA veröffentlicht wurde. (…) Über weite Strecken wirkt dieses ›Schwäbische Capriccio‹ wie ein Schelmenroman, eine satirisch zugespitzte Burleske, dann wieder hat es harmlos scheinende romantische Züge, die Bilder von Carl Spitzweg oder Erzählungen von Eichendorff aufnehmen, aber im Untergrund ist doch auch gegenwärtig, dass es sich um die bedrohliche Situation eines Staatenlosen im Deutschland des Nationalsozialismus handelt. Die lettische Perspektive auf das Dritte Reich kurz vor und nach seiner Kapitulation – das ist etwas höchst Ungewöhnliches.«

Helmut Böttiger, Deutschlandfunk Büchermarkt

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Anšlavs Eglītis

Anšlavs Eglītis (1906–1993) wurde in ein künstlerisch-bürgerliches Umfeld in Riga hineingeboren. Sein Vater Viktors Eglītis war Schriftsteller, seine Mutter Marija Stalbova-Eglīte arbeitete als Lehrerin und Übersetzerin. Im Ersten Weltkrieg evakuierten die russischen Behörden Teile der lettischen Bevölkerung vor den vorrückenden deutschen Truppen, 1915 kam die Familie Eglītis in ein Dorf in der Nähe von Moskau. 1918 wieder nach Riga zurückgekehrt, begann Anšlavs Eglītis bald darauf ein Kunststudium. Ab Mitte der 1920er Jahre unternahm er erste Schreibversuche, Edvarts Virza unterstützte ihn dabei, Fuß in der Literaturszene zu fassen. Eglītis schrieb für Zeitungen, bereiste Europa, ab Mitte der 1930er Jahre publizierte er Bücher, in denen die besondere Atmosphäre der Rigaer Zwischenkriegszeit festgehalten ist. 1944 floh er mit seiner Frau Veronika Janelsiņa, einer Künstlerin, die zahlreiche seiner Bücher illustrierte, vor der Roten Armee nach Deutschland. 1952 emigrierten sie weiter in die Vereinigten Staaten. Etwa 50 Werke entstanden in den folgenden Jahrzehnten, zudem arbeitete Eglītis als Filmkritiker und Dramatiker, berüchtigt für seinen scharfen Humor. In seinen letzten Lebensjahren erlebte Eglītis die Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetunion, doch ein Besuch der Heimat war ihm nicht mehr vergönnt.

Berthold Forssman

Berthold Forssman studierte Skandinavistik, Slawistik und Indogermanistik in Erlangen, Kiel, Reykjavík und Jena und arbeitet heute als freier Journalist, Übersetzer und Autor mit Schwerpunkt auf den nordischen Ländern sowie den baltischen Staaten. Er verfasste u. a. ein Lehrbuch des Lettischen, eine Lettische Grammatik und ein Wörterbuch Lettisch-Deutsch-Lettisch. Aus dem Lettischen übersetzte er u. a. Laima Muktupāvela und Anšlavs Eglītis.

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