OT: Мирская чаша, 1922
Aus dem Russischen von Eveline Passet
Mit Nachworten von Eveline Passet und Ilma Rakusa
171 Seiten, € 20 [D] | € 20,50 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-02-5
Es ist »das Jahr neunzehn des zwanzigsten Jahrhunderts«, kurz nach der Revolution. Ein Landschloss in einem russischen Provinzstädtchen, dessen erster Stock zu einem »Museum des Gutslebens« umfunktioniert wurde. Bevölkert wird das Schloss von sonderlichen Gestalten, die sich dort eingerichtet haben. Machtbesessene Emporkömmlinge, die die Gunst der Stunde nutzen, überlebensschlaue Bauern, eine betagte Kinderfrau, nun Hüterin zweier übriggebliebener Pfauen, und ein Gärtner, der unverdrossen den Garten bestellt, aus dem längst alle Bäume verschwunden sind. In dieser Gesellschaft soll der Dorfschullehrer Alpatow das Licht der Bildung verbreiten – eine aussichtslos erscheinende Aufgabe inmitten von Hunger, Bürgerkrieg und Aberglauben.
Michail Prischwin galt Zeit seines Lebens, ja bis zu Perestrojka und Mauerfall als ein apolitischer Autor, der als »Sänger der russischen Natur« (Paustowski) Bekanntheit erlangte. Prischwin führte allerdings auch jahrzehntelang ein von jeder äußeren und inneren Zensur freigehaltenes, gesellschaftlichmentale Verschiebungen minutiös festhaltendes Tagebuch, von dem nicht einmal seine Frau wusste. Und er schrieb in den Anfangsjahren seines literarischen Schaffens politisch gefärbte Texte wie »Der irdische Kelch«, die zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht werden konnten. Die vielstimmige Erzählung mit ihrem Mischcharakter von Groteske und Legende ist der erste längere künstlerische Text, den Prischwin nach der Oktoberrevolution verfasst hat. Darin führt er eindrucksvoll sein ganzes Können vor: treffend gezeichnetes Personal und formale Kunstfertigkeit, stilistischer Reichtum und erzählerische Fülle.
»Prischwins Gogoliade besitzt bis heute politische und philosophische Sprengkraft. (…) Übersetzung und Nachworte zur Entstehungsgeschichte und dem Leben des Autors machen den bibliophil gestalteten Band zu einer kleinen Kostbarkeit.«
Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Dem erst seit einem Jahr existierenden Guggolz Verlag sei Dank für solche literarischen Trouvaillen, die uns neue Welten eröffnen, den Blick auf die Geschichte noch einmal anders justieren und uns poetische Entdeckungen machen lassen, die, obwohl hundert Jahre alt, von einer überwältigenden, kühnen Modernität sind.«
Lerke von Saalfeld, Deutschlandfunk Büchermarkt
»Wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit erreicht uns Michail Prischwins große Erzählung ›Der irdische Kelch‹ von 1922. Es geht um (verlorene) Schönheit und Kunst, um Politik und Moral, die Größe und Verletzlichkeit der Natur sowie um das Los des Menschen in der jungen Sowjetunion: Hunger, Kälte, Denunziation, Zwangsabgaben. (…) Vor allem jedoch ist ›Der irdische Kelch‹ ein großes und unabgeschlossenes Nachdenken über Russland.«
Judith Leister, NZZ
»Der ›Irdische Kelch‹ – das ist die bittere Wahrheit für alle; das, was bleibt, nachdem der Himmel abgeschafft und die Götter auf die Erde geholt wurden. Prischwins Prosa ist farbig und stark, religiöse Symbolik kontrastiert mit frechen, lakonischen Dialogen, zarte Naturschilderungen mit Redensarten der bilderreichen Volkssprache und verstümmelten Sätzen der Straße – von Eveline Passet bewundernswert sensibel ins Deutsche übertragen. (…) Ein wunderbarer russischer Text, der sich auch der Vereinnahmung durch gegenwärtige Ideologien entzieht.«
Gisela Erbslöh, SWR2
»Prischwins Erzählung ist von großer poetischer Kraft, ein mitunter störrischer und ausdrucksstarker, verwirrender und verwegener Text.«
Ulrich Rüdenauer, Der Tagesspiegel
»Gerade in Zeiten der Krise und der Klischees kann man nicht genug russische Literatur lesen. (…) Ironisch schildert Prischwin seinen Kontakt mit der Landbevölkerung, mit Revolutionären und feiert zugleich die russische Natur und das Bedürfnis nach Metaphysik. Ein Meisterwerk.«
Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung
»Eveline Passet hat ›Der irdische Kelch‹ in ein fabelhaftes Deutsch übertragen. (…) Michail Prischwin konzentriert sich in seinem Roman auf einen kleinen Ort, eine kurze Zeitspanne und ein menschliches Schicksal. Dabei gelingt es ihm, eine Umbruchsphase in der russischen Geschichte auf eine Weise zu beleuchten, wie man sie bisher kaum gekannt hat.«
Daniel Henseler, literaturkritik.de