(1924–1942)
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó
Nachwort von György Dalos
269 Seiten, € 24 [D] | € 24,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-18-6

Stromern

Andor Endre Gelléri

Andor Endre Gelléri (1906–1945) galt schon zu Lebzeiten als Meister der kurzen Erzählform. »Stromern« versammelt 31 Geschichten aus den 1920er- und 1930er-Jahren, in denen er sich den Ausgegrenzten, den Zu-kurz-Gekommenen und Durch-das Raster-Gefallenen zuwendet. Budapest ist geprägt von den Folgen der Weltwirtschaftskrise, und die Protagonisten der Erzählungen bekommen das am eigenen Leib zu spüren. Gelléri kannte die Lebenswirklichkeit seiner Figuren nur zu gut, er selbst arbeitete in unzähligen Berufen, musste für seine täglichen Mahlzeiten schuften – und brachte es doch immer wieder fertig, eine ganz einzigartige Literatur zu schaffen.

Die große Kunst Gelléris, die Timea Tankó farbenprächtig und mit ansteckender Verspieltheit übersetzt hat, besteht darin, jeder Figur ihr Schicksal zuzuerkennen. Sie mögen einander ähneln, die Färbergesellen und Weberlehrlinge, die Schuhmacher und Möbelpacker, die Arbeitssuchenden und Arbeitsverlierenden. Doch jeder Einzelne hat tiefe Wünsche, versucht, seinen Alltag mit Schönheit und Würde zu erleichtern. So wird immer auch sinnenfreudig gezecht, angebandelt, verehrt, gehasst, Trübsal geblasen, gefürchtet und geträumt. Gelléris existenziellen Erzählungen wohnt eine Lebenskraft inne, die sich von keinem Elend und keinem Schicksalsschlag zum Versiegen bringen lässt und die mit feinem Humor und ehrlichem Mitgefühl auf zauberische Weise selbst dem Tod die Stirn bieten. Das Streben nach Glück oder zumindest einem würdevollen Leben hat kein Verfallsdatum, es berührt und ergreift auch heute jeden, der davon liest.

»Andor Endre Gelléris atemberaubend eindringliches Buch führt in das Budapest der Zwischenkriegszeit (…) Hierzulande hingegen hat wohl seit Hermann Hesses ›Unterm Rad‹ oder Falladas ›Kleiner Mann – was nun?‹ niemand mehr so eindringlich und gleichzeitig verwundert‐präzis das Körper und Seelen Zerstörende miserabel bezahlter Fabrik‐ und Erwerbsarbeit beschrieben.«

Marko Martin, Jüdische allgemeine Zeitung

»Dieser Ton sorgt für lyrische Bilder und menschliche Würde, ohne etwas zu beschönigen oder gar Rettung zu verheissen. Gelléri lässt manchmal Dinge sprechen und Bäume ›schlottern‹, wenn die Menschen gar zu einsam werden. Es ist ein seltener, ferner Ton in dieser Prosa.«

Jörg Plath, Neue Zürcher Zeitung

»Der Guggolz Verlag hat ein unverwechselbares Markenzeichen: hervorragende Übersetzungen. So hat Sebastian Guggolz seinen Berliner Verlag inzwischen etablieren können, mit dem er 2014 angetreten ist, bedeutende Autorinnen und Autoren der europäischen Literaturgeschichte wieder aufzulegen und mit seinen sorgfältig ausgestatteten Ausgaben nicht dem Aktualitätsdruck der Branche, sondern den eigenen Überzeugungen zu folgen. Mit dem Erzählungsband ›Stromern‹ von Andor Endre Gelléri in der warmherzigen, angstfreien Übersetzung von Timea Tankó hat er das wieder unter Beweis gestellt.«

Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung

»In Gelléris Geschichten ist jedes Wort so genau gesetzt, dass man sich mit einer unbeholfenen Zusammenfassung nur lächerlich machen würde. Deshalb muss man schon selber nachlesen, was es mit Herrn Görögs Zappeligkeit auf sich hat. Das gilt auch für die kuriosen Erlebnisse von Herrn Filipovics. Und all der anderen Lastenschlepper, Färber, Weber oder Bettler. Der großartige Band ›Stromern‹ lässt so am Ende nur einen Wunsch offen – dass auch die noch nicht übersetzten Erzählungen Gelléris bald herausgebracht werden mögen.«

Ulrich Rüdenauer, Deutschlandfunk Büchermarkt

»Dass Gelléri seinen Unterhalt als Lohnarbeiter verdienen musste, ist in seine Erzählungen eingegangen, die zwischen Robert Walser und Franz Kafka einen eigenen Ton finden. ›Entsetzlich war es, entsetzlich‹ – so die letzten Worte von ›Einsamkeit‹. Hier ist ein großer Autor zu entdecken.«

Weihnachtsempfehlungen, Badische Zeitung

»Eintönig ist Armut nicht, abstoßend sowieso nicht. Dieser Andor Endre Gelléri muss ein überaus freundlicher Mensch gewesen sein, und diese Zugewandtheit zum oft und gern Übersehenen macht das schön und schlicht gestaltete Buch mit 31 Erzählungen sehr besonders.«

Jörg Plath, Deutschlandfunk

»Von Romantisierung war Gelléri weit entfernt. Viele Geschichten, manche von ihnen mit autobiografischen Zügen, machen explizite Sozialkritik überflüssig. Sie wirken umso tragischer, je selbstverständlicher Gelléri von den menschlichen Nöten und dem wirtschaftlichen Elend erzählt. (…) Man kann sich nur wünschen, dass sich viele Leser mit Gelléri auf den Weg machen, um diesen wundersamen Geschichten zuzuhören.«

Ute Evers, Neues Deutschland

»Gelléri ist ein Meister der kurz erzählten Prosa. Seine Protagonisten sind Sklaven eines ausbeuterischen Systems, das sie nicht verändern wollen, sie wollen nur schlicht nicht mehr leiden, wollen keinen Hunger und Durst mehr haben. Hinter allen Kurznovellen steckt eine berührende, traurige Humanität. (…) Im Deutschen hat Timea Tankó bereits den einzigen Roman des Autors, ›Die Großwäscherei‹, mit sprachlicher Wucht und Eleganz übersetzt, nun liegen von ihr ebenso feinfühlig übertragen die Kurzgeschichten des Autors vor.«

Lerke von Saalfeld, Frankfurter Allgemeine Zeitung

»In diesen Geschichten, die von den Ärmsten handeln, scheint die Wahrnehmungskraft extrem gestärkt, Handfestigkeit und Direktheit stehen neben Zerbrechlichkeit und Zartheit. Das ist ebenso weit entfernt von naiver Sentimentalität wie von kitschiger Sozialromantik. Niemals sind Gelléris proletarische Helden nur Opfer. Niemals sind sie ohne Widersprüche.«

Ulrich Rüdenauer, Der Tagesspiegel

»Andor Endre Gelléri muss ein überaus freundlicher Mensch gewesen sein. Seine Erzählungen sind jedenfalls von einer zärtlichen Zuwendung zu denen geprägt, die am Rande des Existenzminimums und nicht selten auch darunter leben. (…) Gelléri schildert all dieses Unglück und verleiht den traurigen Schicksalen Farbe und Geruch, Individualität und Würde, und siehe da: Eintönig ist Armut nicht, abstoßend sowieso nicht.«

Jörg Plath, Ö1 ex libris

»Immer wieder beschreibt Gelléri den Augenblick, in dem die detailgenau gezeichnete Wirklichkeit ins, pathetisch ausgedrückt, Utopische umschlägt. Und es gibt jene Kippmomente, die vom Realistischen unvermittelt ins Groteske führen. Oder ins Poetische. Ins Verzauberte. Dass die Wirkung dieser Texte so stark und frisch ist, hat aber auch mit der Übersetzung zu tun. (…) Timea Tankó nimmt sich sprachliche Freiheiten, ihre wagemutige Übersetzung besticht durch Rhythmus und Eleganz.«

Ulrich Rüdenauer, Falter

»Gelléri hat eine eigenständige Stimme und eine ungewöhnliche Ladungsdichte an Bord. (…) Er zieht alle Regler hoch und schwirrt durch tausendundeine Welt, um genauso jäh daraus zu verschwinden. Häufig melancholisch, zuweilen satirisch beißend, aber vor allem ausgeliefert, so erstrecken sich die fast an Miniaturen erinnernden Prosastücke.«

Jonis Hartmann, Fixpoetry.de

»Geschichten, in denen die schwere Realität leise tanzt, aufgehoben wird mit Fantasien, surrealen Bildern, Geschichten, in denen die Arbeiter, die Kleinbürger, die Elenden ein Gesicht bekommen, eine Würde, einen Platz in der Literatur.«

SWR Bestenliste September 2018

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Andor Endre Gelléri

Andor Endre Gelléri (1906–1945) wird als Sohn eines Schlossers und einer Kantinenfrau in Budapest geboren. Auf Wunsch seines Vaters verlässt er mit 15 Jahren das Gymnasium und absolviert eine Ausbildung an der Industriefachschule. Nebenher schreibt er erste Novellen, die bei Verlegern und Redakteuren auf großes Interesse stoßen. Leben kann er von seiner schriftstellerischen Arbeit jedoch nicht, und so beginnt er, die verschiedensten Lohnberufe anzunehmen. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges bricht die literarische Produktion Gelléris fast vollständig ab. Als Jude wird er in den Jahren von 1940 bis 1945 in verschiedene Arbeitslager deportiert und schreibt dort nur noch vereinzelt an Fragmenten zu einer Autobiografie. Er muss an einem der Todesmärsche in das KZ Mauthausen teilnehmen und stirbt wenige Tage nach der Befreiung des Lagers im Mai 1945 an einer Typhusinfektion. Neben seinem Roman »Die Großwäscherei« hinterließ er einen unvollendeten autobiografischen Roman und schuf ein umfangreiches Werk an Kurzgeschichten, von denen »Stromern« eine Auswahl bietet.

Timea Tankó

Timea Tankó wurde 1978 in Leipzig geboren und verbrachte ihre Kindheit in Ungarn und Deutschland. Sie studierte in Leipzig Kulturwissenschaften und Übersetzung (Französisch, Spanisch). Seit 2003 übersetzt sie ungarische Literatur ins Deutsche, u. a. Antal Szerb, Krisztián Grecsó, Miklós Vajda und István Kemény. 2021 wurde sie für Ihre Übersetzung von Miklós Szentkuthy mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

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