OT: Hingede öö (1953)
Aus dem Estnischen von Maximilian Murmann
Nachwort von Rein Raud
373 Seiten, € 24 [D] | € 24,70 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-20-9
Karl Ristikivi (1912–1977) ist einer von Tausenden Esten, die 1944 vor den Sowjets in den Westen flohen. Bis zu seinem Tod lebte er in Stockholm. »Die Nacht der Seelen« erschien 1953, ein existenzialistischer Exilroman mit surrealistischen Zügen, der seine persönliche Lebenssituation aufgreift. Der Ich-Erzähler, Ristikivis Alter Ego, betritt in der Silvesternacht ein offenstehendes Haus aus Neugier und in der Erwartung, dort Gesellschaft und Unterhaltung zu finden. Schnell wird aber klar, dass der Weg immer tiefer in das Haus hinein auch ein Weg in das eigene Innere, in die eigene Geschichte ist. Plötzlich fällt der Strom aus – es muss ein Verbrechen passiert sein. Der Prozess, der anschließend abgehalten wird, fokussiert aber gar nicht so sehr das mögliche Verbrechen, sondern richtet den Blick vielmehr auf das Menschenleben an sich und die Verfehlungen des Ich-Erzählers im Besonderen.
Meisterhaft versteht es Ristikivi, uns Leser mit Spannung und einer existenziellen Verunsicherung wie den Protagonisten immer tiefer in das Buch hineinzuführen. Von Raum zu Raum, von Szenerie zu Szenerie, von Begegnung zu Begegnung wandeln wir durch das rätselhafte Haus und kommen doch nur bei uns selbst an. »Die Nacht der Seelen« ist ein widerspenstiger und tiefgreifender Roman über eine existenzielle Einsamkeit, aber auch ein Buch über das Schreiben, die Kunst und über die Schöpfungskraft der Phantasie. Maximilian Murmanns Übersetzung legt mit klarer und präziser Sprache den Blick auf einen Text frei, der alles zeigt und freimütig erzählt und der uns Leser dennoch wie ein scharfkantig funkelnder Spiegel auf uns selbst zurückwirft.
»Ristikivi erzeugt durch die Abfolge verwirrender Begegnungen und absurder Dialoge eine surreale Atmosphäre. Mit dem Erzähler, der namenlos bleibt, wandert der Leser zwischen den Zeiten, zwischen Leben und Tod, zwischen Traum und Wirklichkeit umher. (…) ›Die Nacht der Seelen‹ ist ein ungewöhnlicher, vielschichtiger Roman, der uns verspätet geschenkt wird. Das informative Nachwort des estnischen Schriftstellers Rein Raud macht neugierig auf Ristikivis Werk und die estnische Literatur insgesamt.«
Paul Stoop, Deutschlandfunk Büchermarkt
»Mit ›Die Nacht der Seelen‹ ist ein Schlüsselwerk von Karl Ristikivi in der vorzüglichen deutschen Übersetzung von Maximilian Murmann erschienen. (…) Die Verbindung aus Luxus, Beklemmung und Fremdheit nimmt die Atmosphäre von Alain Renais’ Film ›Letztes Jahr in Marienbad‹ vorweg. Auch verarbeitet es die Erfahrungen der Fremdheit im Exil und des Desinteresses am Lebensschicksal eines estnischen Flüchtlings, und zwar in einer nicht rationalen Logik des Traums. (…) Ristikivi wahrt durch ein literarisches Verfahren die Selbstbestimmung und lässt sich nicht von einer schmutzigen Wirklichkeit auf deren Niveau hinabziehen.«
Jan Brachmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Besonders der Anfang von Karl Ristikivis 1953 im estländischen Original erschienenen Roman ist grandios. Mit wenigen klaren, fast schroffen Sätzen entwirft er nicht nur das genaue Bild einer unwirtlichen Stadt, in der die gereizte Stimmung jederzeit in Gewalt umkippen kann, sondern auch das komplizierte und widersprüchliche Innenleben eines einsamen, zutiefst verunsicherten Menschen (…). Das könnte ein bedrückendes Szenario sein. Doch Ristikivi hat einen eleganten, vergnüglichen Roman geschrieben, voller Zaubertricks und Eigensinn. Einen Exilroman, dessen literarischer Held viel zu klug ist, um zu resignieren.«
Nicole Henneberg, Der Tagesspiegel
»Vor der Folie seines eigenen Schicksals (Ristikivi floh 1944 vor der deutschen Besatzung und lebte bis zu seinem Tod in Schweden) lässt der estnische Schriftsteller, der hier erstmals auf Deutsch zu entdecken ist, sein literarisches Alter Ego schmerzlich die existenzielle Erfahrung der gleichermaßen äußerlichen wie innerlichen Unbehaustheit des Exils erleben. Dieser fesselnde, mit einem informativen Nachwort zu Biografie und Werk versehene Roman sei sehr empfohlen.«
Dorothea Trottenberg, ekz Bibliotheksdienst