OT: Місто/Misto (1928)
Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil, Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok
Nachwort von Alexander Kratochvil, Lina Zalitok und Susanne Frank
413 Seiten, € 26 [D] | € 26,90 [A]
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-35-3
Walerjan Pidmohylnyj (1901–1937) hat mit »Die Stadt« 1928 einen Roman geschaffen, der von der psychologischen Prosa des französischen Naturalismus, die Pidmohylnyj selbst ins Ukrainische übersetzt hat, inspiriert ist und zum Kernbestand der ukrainischen literarischen Moderne gehört. Der Existenzialismus blitzt schon durch die Zeilen, die sanft ironische Erzählweise schlägt immer wieder in bissigen Spott um – und dennoch vermag Pidmohylnyj es auf atemberaubende Weise, von den sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Zeit nicht nur zu berichten, sondern sie uns erzählerisch vor Augen zu führen und begreifbar zu machen. Stepan, dessen Weg wir lesend miterleben, kommt voller Erwartungen und mit großen Zielen in die Metropole Kyjiw, wo er ein Studium beginnen und dabei mithelfen möchte, den Sozialismus aufzubauen.
Die Stadt und ihre Bewohner faszinieren ihn, stoßen ihn aber gleichzeitig auch ab und genügen seinen überzogenen Ansprüchen nicht. Vor allem aber stürzen sie ihn in chaotische Verhältnisse und machen seine hehren Pläne zunichte: Als Stepan dann auch noch Feuer für die Schriftstellerei fängt, kommt er endgültig vom Kurs ab. Alexander Kratochvil hat in Zusammenarbeit mit Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok die abgründig schillernde Erzählung in ein elegant doppelbödiges Deutsch gebracht, mit einer Vielzahl an geschliffenen Formulierungen und zugespitzten Dialogen. »Die Stadt«, dieses Meisterwerk der ukrainischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, fügt der vielstimmigen europäischen Moderne eine hierzulande bisher unbekannte weitere Facette hinzu.
»›Die Stadt‹, Pidmohylnyjs einziger Roman, zugleich sein Hauptwerk, war ursprünglich als Drehbuch geplant, als Filmkomödie – und komödiantische Elemente beleben auch den Roman, dessen Sprachgewalt evident ist, dessen Sprachfuror tollkühne Bilder und Vergleiche freisetzt, verwegene, allerdings auch verquere. (…) Wenn ›Die Stadt‹ seit kurzem auf Deutsch vorliegt, so geht die Übersetzung zurück auf eine kollektive Anstrengung am Ukraine-Seminar der Berliner Humboldt-Universität und eine verlegerische Großtat des Berliner Guggolz-Verlages.«
Christian Thomas, Frankfurter Rundschau
»Er wolle mit seinem Roman, notierte Walerijan Pidmohylnyj 1929, die Stadt ›der ukrainischen Psyche näher bringen.‹ Eine Geschichte der Bezauberung also. (…) ›Die Stadt‹ ist zum einen ein realistisch gesättigtes Psychogramm der modernen Stadt und zum anderen ein Psychogramm des Menschen, der den Sprung in die Moderne bewältigen muss. (…) ›Die Stadt‹ bietet maximales Lektüreglück: zärtlich, klug, hart, komisch und so nahegehend wie ein Existenzroman nur sein kann.«
Christine Hamel, WDR
»Stepans Seele sei eine ›empfindliche Fotoplatte‹, konstatiert Walerjan Pidmohylnyj. Voller Enthusiasmus lässt er seinen jugendlichen Helden aus einem Dorf in der Provinz zum Studium nach Kiew aufbrechen. Die Präzision, mit der Pidmohylnyj die Großstadt und ihre Bewohner porträtiert, erinnert mitunter tatsächlich an einen Fotografen. (…) Interessant ist ›Die Stadt‹ auch aus soziologischer Sicht. Denn Stepan bewegt sich durch verschiedene Milieus, von der Universität übers Kleinbürgertum in die Künstler-Boheme und zu den Neureichen, die Politik streift er natürlich auch. Topografisch führt sein Weg vom Rand ins Kiewer Zentrum. Als Habenichts muss Stepan sich ›durchbeißen wie ein Holzwurm‹.«
Christian Schröder, Tagesspiegel
»Erstübersetzung nach fast hundert Jahren: Walerjan Pidmohylnyjs ironischer Roman ›Die Stadt‹. (…) Der ukrainische Schriftsteller, der 1935 in Stalins Großem Terror gefoltert, verurteilt und zwei Jahre später mit erst 36 Jahren in Lagerhaft erschossen wurde, erzählt seinen Künstler- und Stadtroman chronologisch in überschaubaren Szenen. Eine Erzählung Stepans wird in den Roman integriert, und die erlebte Rede nutzt Pidmohylnyj geschickt zur unaufdringlichen Ironisierung.«
Jörg Plath, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Mit der Schilderung vom Wechsel der Jahreszeiten in der Stadt, von ihren Geräuschen und Gerüchen, ihrem Tempo und ihren Einwohnern lässt Pidmohylnyj eine Topografie Kiews der 20er-Jahren erstehen: einer Stadt im Übergang, einer Stadt der Revolutionen. (…) Pidmohylnyjs Meisterwerk »Die Stadt« muss den Vergleich mit den anderen großen Metropolenromanen der Moderne nicht scheuen. Dank eines von dem Slawisten Alexander Kratochvil angeleiteten studentischen Übersetzungsteams liegt just in diesem traurigen Frühjahr des Krieges in Kiew eine geradezu kongeniale und von allen zeitgeistigen Gefälligkeiten freie Übertragung eines ukrainischen Klassikers über ebendiese Stadt vor, dessen impressionistischem Sog und virtuoser Erzählkunst man sich kaum entziehen kann.«
René Schlott, DIE ZEIT
»›Die Stadt‹, dieser lange verbotene ukrainische Schlüsselroman über Kiew, kann nun erstmals auf Deutsch gelesen werden. Mit Stepan schuf Pidmohylnyj eine Variation des vereinsamten Großstadtmenschen und selbstverliebten Beaus, die fasziniert und mitfühlen lässt, amüsiert und empört.«
Christoph Haacker, Deutschlandfunk Büchermarkt
»›Die Stadt‹ ist der flirrende Entwicklungsroman eines Künstlers. Es geht um die Ukrainisierung, die Stalin bald mit dem ersten Fünfjahresplan stoppte, um Aufstieg und Ankunft, Frauen und Sex. Genau beschreibt Pidmohylnyj die Atmosphäre einer Zwischenzeit, ist ironisch und spöttisch, lyrisch und sinnlich, intelligent und intellektuell in den Diskussionen in Bierkneipen und Kantinen, realistisch – und gesellschaftskritisch.«
Norbert Wehrstedt, Leipziger Volkszeitung
»Groß, zärtlich und brutal. (…) Man will ihm folgen – durch diese Stadt, durch diese Sprache. Denn jede Zigarette, die Stepan raucht, und jede Straße, die er kreuzt, ist – so, wie es da steht – große Literatur. (…) Stepan wird leiden, schreiben, träumen, Frauen lieben, Frauen hassen, auf eine literarische und schöne, üble Art. Und wir? Wir werden – auf jeder Seite – mit ihm leiden, ihn hassen und ihn lieben. Mit ihm durch Kiew spazieren. Und werden schließlich wissen, dass große Kunst niemals vernichtet werden kann.«
Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung